Ich bin wütend!

Puh… Wie lange waren diese Worte beinahe unaussprechlich für mich …

Ich habe mich geschämt für diese Wut. Habe sie versucht zu vertuschen, zu verstecken, habe mir gewünscht, dass es nie jemand mitbekommt. Hatte Angst, abgewertet zu werden, zurückgewiesen und verurteilt zu werden. Als verrückt, irre, unzurechnungsfähig oder unkontrollierbar abgestempelt zu werden. Eines war auf jeden Fall klar: wütend sein ist schlecht. Und wütend zu sein, bedeutet, dass du dich nicht unter Kontrolle hast. Wütend sein ist peinlich Und das solltest du ändern. Und zwar schnell. Schluck sie runter, geh drüber. Betäube dich. Irgendwann ist die Wut weg, oder zeigt sich auf eine sozial verträglichere Weise.

Nur meine Wut ging nicht weg. Sie blieb da. Bäumte sich vor mir auf. Und ich wollte sie einfach nur loswerden, wollte sie nicht sehen. Und schon gar nicht wollte ich, dass jemand anderer sie sieht. Bis ich bemerkte, dass genau das der Fehler im System war. Je mehr ich sie wegdrückte und versperrte, desto größer wurde sie. Also musste ich mich irgendwie mit diesem vermeintlichen Monstrum auseinandersetzen. Okay Wut, du und ich. Wir beide. Und ich blieb. Als die Wut kam, blieb ich da. Fühlte das, was es zu fühlen gab. Und ich bemerkte: Oh wow, Wut, das einzige was du immer wolltest, war mich zu beschützen. Etwas aufzeigen. Mir sagen: Hey, hör zu, hier läuft etwas gehörig falsch. Du gehst über deine Grenzen, und das schon viel zu lange.

Hör auf damit. Und fang an, dir selbst wieder nah zu sein.

 

Zum ersten Mal konnte ich diese Wut spüren, ganz bewusst wahrnehmen und ihre tiefe Intention spüren. Diese Wut sagte mir: Hey, du bist alleinerziehend, du machst alles alleine, triffst jede Entscheidung alleine, kümmerst dich alleine um dein Kind, hast alle finanzielle Verantwortung. Das ist zu viel. Da ist etwas nicht in Balance. Du achtest viel zu wenig auf dich. Bitte hör dir wieder zu, und kümmere dich gut um dich. 

Und ich spürte diese immense Kraft, die in meiner Wut lag. Ohne diese Wut, hätte ich niemals einen Neuanfang gewagt. Ohne diese Wut würde ich heute nicht tun, was ich tue: andere Frauen dabei zu unterstützen, sich selbst wieder nah zu sein, sich selbst wieder die beste Freundin zu sein. Ohne diese Wut hätte ich nicht den Mut gehabt, alleine mit meiner Tochter zu reisen, mit der großen Erwartung an’s Leben, dass es für uns das Allerbeste bereithält.

Und heute? Ganz ehrlich? Bin ich nur mehr selten wirklich wütend. Weil ich begonnen habe, schon die kleinen Anzeichen zu lesen. Mir rechtzeitig Auszeiten zu nehmen. Und die Wut zu kanalisieren – für mich geht das am Besten so:

Tanzen, am Besten zu Trommelmusik und einfach schütteln schütteln schütteln

Springen und Hüpfen

Körperliche Bewegung wie z.B. laufen gehen

Kurz den Raum verlassen

Aaaaaattttmmmmeeeeennn (mit besonderem Fokus auf die Ausatmung)

Langsam bis 10 zählen

Mit beiden Händen gegen die Wand drücken (das kann man auch zusammen mit dem Kind machen, wenn es Lust dazu hat)

Dir etwas Gutes tun: z.B. eine Tasse Tee zubereiten

Und die Königsdisziplin: eine Auszeit nehmen und der Wut lauschen. Welches deiner Bedürfnisse wurde gerade nicht erfüllt? Wo hast du gerade nicht gut auf dich geachtet?

Wut hat es verdient, aus ihrem Eck der Verurteilung als unkontrollierbare gewalttätige Furie herausgehoben zu werden. Wut an sich ist nämlich einfach nur eine Kraft. Eine Kraft, die uns beschützen will, weil wir von unserem Weg abgekommen sind. Weil wir unserer inneren Stimme nicht gelauscht haben und unsere eigenen Bedürfnisse übergangen sind, und das meist schon 10 Mal bevor wir wütend geworden sind.